Carschinahütte - Sulzfluh, 2.812 m - Tilisunahütte - Tschagunser Mittagsspitze, 2.168 m - Grabs, 10:30 Std.
Der vierte und letzte Bergwandertag im Rätikon bringt eine Eintrübung der Wetterlage. Am Morgen ist der Himmel bewölkt und die Bergspitzen hüllen sich alle in Nebel. Keine guten Vorraussetzungen für den Gipfelsturm über den Sulzfluh-Klettersteig. Wir verlassen die Carschina-Hütte im Nieselregen und wandern hinüber zur Abzweigung des Normalweges. Der Einstieg in die Südwand ist recht wild und bei diesem nassen Fels gar nicht so ungefährlich. Deshalb sind wir froh, dass wir uns beim Klettern am fest verankerten Drahtseil festhalten können. Kurz darauf wird der Steig jedoch merklich flacher. Wir wandern über Geröll und plattigen Fels. Je höher wir steigen, desto dichter wird der Nebel. Hart gesotten wie die Watzmänner nun einmal sind, lassen wir uns von der widrigen Wetterlage nicht entmutigen und steigen zügig dem Gipfel entgegen.
Als nach etwa zwei Stunden das Gipfelkreuz der Sulzfluh schemenhaft aus dem Nebel auftaucht, machen wir uns keine großen Hoffnungen auf ein überwältigendes Gipfelpanorama. Aber weit gefehlt! Wie durch ein Wunder reißen die Wolken auf und die Sonne kommt zum Vorschein. Die letzten Nebelschwaden werden alsbald vom auffrischenden Wind vertrieben und einer grandiosen Rundumsicht steht nichts mehr im Wege. Der Blick schweift hinunter zum Partnunsee und hinüber zu den Gebirgsmassiven von Drusenfluh und Schesaplana. Nach ausgiebiger Gipfelrast machen wir uns an den Abstieg und wandern hinüber zur Tilisunahütte. Dabei wartet das Rätikon erneut mit einem Highlight auf. Wir durchstreifen ein gewaltiges Felsenmeer in dem sich metertiefe Felsspalten auftun. In der Tilisunahütte kehren wir zur Mittagsrast ein und lassen uns hervorragend bewirten.
Am Nachmittag marschieren wir am Tilisunasee vorbei. In ständigem Auf und Ab auf einsamen Bergpfaden überschreiten wir den Schwarzhornsattel und gelangen zum Fuße der Tschaggunser Mittagsspitze. Es ist kein leichtes Unterfangen diesen herrlichen Aussichtsberg zu besteigen. Ein Schild direkt am Einstieg macht jeden Gipfelstürmer darauf aufmerksam, dass der Steig nicht gesichert ist. Fest verankerte Drahtseile und Kletterhilfen sucht man daher in der Wand vergebens. Klettern im 1. und 2. Grad ist angesagt. Unter den kritischen Augen der Bergführer wird auch diese Herausforderung gemeistert. Bald ist es geschafft und die letzten Meter im Gipfelaufbau werden gefahrlos überwunden.
Das Gipfelerlebnis ist geradezu einzigartig und entschädigt für den mühsamen Aufstieg. Nur wenige Höhenmeter der Mittagsspitze mit dem imposanten Gipfelkreuz ragen aus dem tiefer gelegenen und im Sonnenlicht gleißenden Wolkenmeer heraus. Lediglich die Bergspitzen der umliegenden Alpenketten sind zu sehen. Die Talgründe bleiben unter der dichten, kalkweißen Wolkendecke verborgen. Lange Zeit verweilen die Watzmänner auf diesem 2.168 Meter hohen Gipfel, tief beeindruckt von diesem herrlichen Naturereignis. Erst dann macht man sich am Sicherungsseil der Bergführer an den Abstieg. Erneut ist höchste Konzentration und Klettergeschick gefragt. Jeder Tritt und Griff muss sitzen! Über felsige Pfade, Wurzelstöcke und durch Latschenkieferbestände geht es dann talwärts nach Grabs, wo dieser nahezu elfstündige Bergwandertag sein Ende findet.
Autor und Fotograf: Konrad Friedgen